100 Meter unter dem See

Nein, das ist kein weiterer Artikel über meine Tauchabenteuer. Diese waren zwar großartig und werden in den nächsten Tagen noch viel großartiger (ich werde über Silvester eine 3-Tages-Tauchtour zu den Similan Inseln machen). Aber zwischendurch habe ich mich zur Abwechslung in die Berge und Regenwälder des Khao Sok Nationalparks begeben.

Die allermeisten Touristen, die heute für ausgetrampelte Pfade im dicht gewachsenen Bambuswald des Parks sorgen, wissen wohl kaum, wie geschichtsträchtig dieser Ort eigentlich ist. Der Park verzeichnet erst seit rund 25 Jahren wachsenden Zuspruch von Touristen. Das hängt mit zwei Dingen zusammen. Erstens hat man hier Anfang der 90er verstanden, dass das Wort „Wasserfall“ riesige Reisegruppen anlockt – auch wenn es hier kaum mehr als Stromschnellen zu sehen gibt. Und zweitens gibt es hier den riesengroßen Chiao-Lan-See, der ebenfalls erst seit 1987 für Touristen zugänglich ist. Dazu aber später mehr.

Geschichtsstunde im thailändischen Regenwald

In einer 16-köpfigen Gruppe wandern wir durch den Teil des Nationalparks, der zur Nam Ta Lu Höhle führt. Wir sind relativ weit hinten in der Gruppe und können kaum verstehen, was Deang, unser Guide, vorne erzählt. Da Daeng aber permanent auf irgendwelchen Blättern herum kaut, bezweifeln wir, dass man sein Genuschel aus kürzerer Distanz besser verstehen würde… Gut, dass wir am Abend zuvor bereits ein wenig Selbststudium betrieben haben.

Es ist erst 35 Jahre her, da wanderten in diesem Dschungel keine Touristen, sondern revolutionswütige Studenten, die von der Regierung als Kommunisten abgestempelt und entsprechend verfolgt wurden. Der kaum zugängliche Wald und die besagte Nam Ta Lu Höhle dienten ihnen als zuverlässiges Versteck. Die Studenten lebten hier von 1975 bis 1982.

Der Beginn des Trecks, der heute zur Höhle führt liegt ca. 20 Kilometer vom Pier entfernt, wo heute die zahlreichen Longtail Boote ablegen, um die Touristen in den Dschungel zu bringen. Eine Stunde Fahrt ist das über den Chiao-Lan-See, der doppelt so groß ist wie der Chiemsee. Es geht vorbei an beeindruckenden Klippen und hunderten kleiner, dichtbewachsener Inseln. Dabei befinden wir uns etwa 100 Meter über der Stelle, an der einst 13 Dörfer lagen – samt Schulen, Krankenhäusern, Tempeln und 1500 Bewohnern. Denn in einem Land, das so sehr mit seinen Naturschönheiten wirbt (und diese auch zweifelsfrei vorzeigen kann), wo es aber, gefühlt, mehr Eisbären als Mülleimer gibt, offenbart sich auch im Khao Sok Nationalpark das sehr ambivalente, um nicht zu sagen, zweifelhafte Verhältnis zur Natur. Auf der einen Seite einer der ältesten und am besten erhaltenen Regenwälder Thailands und auf der anderen Seite ein See, der erst 30 Jahre alt ist und durch den Bau des Rajjaprapha Staudamms entstand.

Die aufragenden Kalk-Sandstein Felsen bildeten vor rund 250 Millionen Jahren ein Korallenriff, das fünf Mal so groß war, wie das Great Barrier Reef.  Bis in die 1980er Jahre lag das Land trocken und die Menschen hier lebten von dem, was ihre Farmen hergaben. Doch dann kamen die Kommunisten und die Regierung ergriff die einmalige Chance, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Strom produzieren für die Region Suratthani durch ein gigantisches Wasserkraftwerk. Und das Auswaschen der Studenten aus Wald und Höhlen. Nach dem Bau des Staudamms wurde damit begonnen, das Gebiet zu fluten. Der Chaio-Lan-See in seiner heutigen Form existiert seit 1987.

Vom Farmer zum Fischer zum Touristen Guide und Bungalow-Manager

Die 1500 Bewohner der betroffenen Dörfer wurden entschädigt – mit Geld und neuem Land. Nur als Farmer konnten die meisten von ihnen seitdem nicht mehr arbeiten. Die Regierung zeigte sich gutherzig und siedelte im See große Fische an, die nur von den betroffenen Bewohnern gefangen werden durften. Aber auch das reichte nicht wirklich für alle, so dass neue Einnahmequellen gefunden werden mussten. Die noch immer wichtigste: der Tourismus.

1989 als der letzte, tapfer ausharrende Student die Nam Ta Lu Höhle verließ, kamen gerade die ersten neugierigen Gäste. Heute klettern wir geduckt in den ehemaligen Rückzugsort der Kommunisten und schwimmen durch die klaren Wasserläufe – wenn möglich, ohne dass unsere Taschenlampen nass werden. Denn ohne wäre es stockfinster. Über uns hängen tausende Fledermäuse und auf den Stalagmiten krabbeln handtellergroße Spinnen. Aber all das wirkt kaum mehr furchterregend, wenn wir uns vorstellen, dass es noch knapp 1500 Menschen in der näheren Umgebung gibt, deren Heimat einfach so überschwemmt wurde und heute einhundert Meter tief am Grund des Sees vor sich hin rottet.